| Nach diesem  Gespräch setzte René seine Online-Odyssee fort. | 
   
     | Er las die neusten  Sportnachrichten und 
schaute sich die  aktuellen Meldungen eines bekannten Onlineportals an. Er war kurz davor,  den  Rechner auszuschalten, als er sich  einer Eingebung folgend auf der Webseite einer Boulevardzeitung umschaute.  Etwas, das er nur sehr selten tat, da er für sensationsgierige Meldungen nicht  viel übrighatte | 
   
     | Er stoppte bei  einem Bericht über einen Unfall. | 
   
     | Ein BMW kam von der  Straße ab und fuhr in die Restaurantfront eines bekannten Hotels in Wien. Es  gab fünf leicht verletzte Personen, da zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise das  Restaurant kaum besetzt war. Das war aber nicht  das, was ihn berührte. Auf dem Foto, das den Unfall zeigte, waren mehrere  Personen zu sehen. Ein Pärchen fiel ihm dabei besonders ins Auge.
 Vor circa drei  Monaten waren bei einem Bootsunfall zwei seiner besten Freunde gestorben. Und  auf dem Foto sah er nun zwei Menschen, die diesen Freunden zum Verwechseln  ähnlich sahen.
 | 
   
     | O.K., die Haarfarbe  der Frau war anders und die Nase auch. Der Mann hatte eine Glatze anstelle von  schulterlangem Haar, war schlanker als sein Freund, aber sonst … Er überlegte eine  Weile, griff dann zum Telefonhörer und wählte die Nummer von Andi.
 | 
   
     | »Schneider«,  flötete es aus dem Hörer. | 
   
     | »Ich bin’s. Ist der  Glaser schon weg?« | 
   
     | »Ja.« | 
   
     | »Sitzt du gerade  vor dem Rechner?« | 
   
     | »Ja, warum?« | 
   
     | »Ruf doch mal bitte  folgende Webseite auf!« | 
   
     | Er gab ihm die  genaue Adresse durch. | 
   
     | »Fällt dir auf dem Foto  irgendetwas auf?«, fragte René. | 
   
     | Andi schaute es  sich genau an. Ein Auto war in die Restaurantfront gefahren. Es herrschte ein  völliges
Chaos. Überall  Glasscherben, kaputtes Mobiliar, aufgeregtes Personal, ein Pärchen im Gespräch  mit einem Polizisten, der BMW schien Totalschaden zu haben … Moment, das  Pärchen! | 
   
     | »Das gibt’s ja  nicht«, presste er hervor. | 
   
     | »O.K., du siehst es  also auch«, sagte René. | 
   
     | »Warte, ich komme  rüber!«, rief Andi und legte auf. | 
   
     | Wenige Minuten  später stand Andi im Büro der Bergmanns und starrte mit René auf den Monitor. | 
   
     | Andi meinte  verblüfft: »Aber … das ist doch nicht möglich! Wie kann man sich so ähnlich  sehen?« | 
   
     | »Ehrlich gesagt,  ich weiß nicht so richtig, was ich glauben soll«, sagte René leise. »Die  Wahrscheinlichkeit, dass es Menschen gibt, die anderen Menschen fast auf die  Zelle genau ähnlich sehen, ist ja durchaus vorhanden. Aber dass es ein Pärchen  gibt, dass einem anderen Pärchen bis auf ein paar Kleinigkeiten wie aus dem  Gesicht geschnitten ist, halte ich doch für weitaus unwahrscheinlicher als  einen Sechser im Lotto mit Superzahl. Ergo bleibt nur eine einzige Möglichkeit  übrig: Das heißt, dass unsere Freunde vor drei Monaten keinesfalls bei der  Bootsexplosion ums Leben kamen.« | 
   
     | Plötzlich öffnete  sich die Tür, und ihre Frauen traten ein. | 
   
     | »Hier seid ihr!«,  rief Steffi, ging zu ihrem Mann und gab ihm einen Kuss. »Wir sind wieder da.« | 
   
     | Aber die Männer  reagierten nicht. René schaute weiter auf den Monitor, und Andi wandte sich ab  und
starrte ins Leere. | 
   
     | »Hey, was ist denn  mit euch los?«, fragte Angie und nahm ihren Mann in den Arm, während sie ihn auf die Stirn  küsste. | 
   
     | Als wenn er gerade  aus einer Hypnose aufwachen würde, schaute René seine Frau an und deutete auf
den Monitor. | 
   
     | »Hier, schau dir  das Foto an und sage mir, was du siehst!« | 
   
     | Angie sah auf den  Monitor, und Steffi drängte sich dazu. Nach wenigen Sekunden bekam Angie große Augen. | 
   
     | Steffi presste ein  »Oh, Gott!« hervor. | 
   
     | »Das kann doch  nicht sein. Wann wurde das Foto aufgenommen?«, fragte Angie ihren Mann. | 
   
     | »Der Unfall  passierte … Moment!« Er scrollte den Bericht nach oben, wo das Datum des  Beitrages stand.
 »Ja. Gestern.«
 | 
   
     | »Ich brauche jetzt einen Kaffee. Ist da noch welcher drin?«, erkundigte sich Angie und zeigte auf  die Thermoskanne. | 
   
     | »Ja. Es müsste noch für jeden eine halbe Tasse drin sein«, antwortete René. »Wollt ihr auch  einen?«, fragte er die beiden anderen. | 
   
     | Sie nickten stumm.  René holte Tassen aus der kleinen Anrichte und stellte sie auf den  Konferenztisch, an dem er vor  Kurzem mit Herrn Amadeus gesessen hatte. Er verteilte den restlichen Kaffee auf  vier Tassen und reichte  sie allen. | 
   
     | »Und nun? Was denkt  ihr gerade?«, fragte René in die Runde. | 
   
     | Doch keiner sagte  etwas. Alle schauten sich ratlos an, bis Steffi die Stille beendete. »Wie groß ist die  Wahrscheinlichkeit, dass die beiden die Explosion überlebt haben?«, fragte sie.
 | 
   
     | »Sagen wir mal so«,  gab Andi zu bedenken, »sofern sie an Bord waren – gleich null.« | 
   
     | »Da hast du  scheinbar den gleichen Gedanken wie ich«, stimmte René ihm zu. »Wenn sie wirklich an Bord waren …« | 
   
     | Angie runzelte die  Stirn und sagte: »Aber es gab doch Zeugen, die sie gesehen haben.« | 
   
     | »Falsch«,  entgegnete René, »es gab Zeugen, die ausgesagt haben, dass ein Mann und eine  Frau an Bord waren. Die Zeugen kannten die beiden doch gar nicht. Es hätten  somit theoretisch auch andere Personen gewesen sein können. Zumindest ist die  Wahrscheinlichkeit wesentlich größer, dass die beiden auf diesem Foto  tatsächlich Steffen und Sabrina sind als zwei fremde Menschen, die ihnen  zufällig ähnlich sehen.« | 
   
     | »Wir könnten ja  Denise anrufen und sie fragen, was sie von diesem Foto hält«, schlug Andi vor. | 
   
     | »Das ist ja eine  tolle Idee!«, meinte Angie abfällig. »Was willst du ihr sagen? – Hallo, Denise,  ich habe auf einem Foto deine Eltern gesehen. Sie sind gar nicht tot. Sie  halten sich nur versteckt. – Oder wie stellst du dir das vor?« Sie machte eine  kleine Pause und fuhr dann fort: »Was meinst du, wie sie dann reagiert? Sie hat  hoffentlich angefangen, einigermaßen zu verarbeiten, dass ihre Eltern nicht  mehr leben. Und dann kommst du und willst ihr erzählen, dass dem doch nicht so  ist? Hast du eine Ahnung, was das in ihr auslösen könnte?«
 Sie schüttelte den  Kopf.
 »Bitte vergiss diesen Gedanken gleich wieder!«
 | 
   
     | »Wenn wir  herausfinden möchten, wer diese beiden sind, dann bleibt uns nur eine Möglichkeit:  Wir müssen hinfahren«,  schlussfolgerte René. | 
   
     | »Ach, wie stellst  du dir das vor?«, widersprach Steffi. »Wir können doch nicht einfach alles  stehen und liegen lassen  und nach Wien fahren.« | 
   
     | »Warum nicht?«,  hielt Andi dagegen. »Sicher, wir können nicht alle fahren, schließlich müssen  die Kinder weiter zur Schule, auch wenn bald Sommerferien sind. Aber ich könnte  doch mit René hin, wenn ihr nichts dagegen habt.« | 
   
     | »Und die ganzen  Termine in den nächsten Tagen?«, gab Steffi energisch zu bedenken. »Sollen wir 
die alle absagen?« | 
   
     | Alle sahen Steffi  eindeutig an, dass sie von dieser Idee überhaupt nicht begeistert war. | 
   
     | »Ganz ehrlich,  Schatz«, fragte Andi, »welche Termine meinst du? Soweit ich das im Kopf habe, 
haben wir drei  Sponsertermine, und die könntest du übernehmen. Die Einarbeitungstermine mit  neuen 
Partnern könntest  du mit Angie zusammen machen. Das habt ihr  schließlich schon mal gemacht. Mehr Termine fallen mir auf die Schnelle nicht  ein.«
 | 
   
     | Verärgert  verschränkte Steffi die Arme vor der Brust und sah ihren Mann wütend an. Angie ging zu  Steffi, fasste sie am Arm und zog sie sanft zur Tür, während sie mit  beruhigender Stimme sagte: »Komm, lass uns erst mal Essen machen!«
 | 
   
     | Aber Steffi, die  gerade in Fahrt kam, riss sich los und widersprach: »Nein, ich kann doch die  beiden 
hier jetzt nicht  alleine lassen. Wer weiß, was die aushecken!«
 | 
   
     | »Steffi! Bitte!«,  sagte Angie zwar sanft, aber sehr bestimmt. | 
   
     | Ihre Schwägerin zögerte noch kurz, ließ sich aber dann, wenn auch  widerwillig, in die Küche führen. |